Da treffe ich dann auf Situationen, in denen Menschen, die sich darum bemühen, dass diese Welt menschlicher, offener und lebenswerter würde, von anderen beschimpft werden. Ganz offen und unverblümt. Da wird dann im Netz auch schon mal ein Mädchen, das sich um die Zukunft aller Generationen sorgt, ganz direkt als „Rotzgöre“ beschimpft und ein anderer, der sich traut dagegen ein bisschen und noch ganz leise etwas zu sagen, bekommt Antworten wie „hättest du geschwiegen, dann würde niemand bemerken, wie dumm du bist“. Und DANN? ja dann folgt NICHTS mehr. Dann folgt das große Schweigen, obwohl ganz sicher eine Menge Menschen gerade diese Zeilen mitgelesen haben, sozusagen „stumme“ Zeugen geworden sind.

Auf der anderen Seite gleichzeitig aber auch die Beobachtung von mir, dass Menschen, die sich versehentlich oder auch in eigener Unfähigkeit nicht an irgendwelche festgelegten „Regeln“ halten (auch ohne dass jetzt nur einer verletzt oder beleidigt worden wäre) sofort ermahnt werden. Ihr kennt das alle, wenn jemand im Netz die Rechtschreibung missachtet oder versehentlich etwas doppelt postet oder?

Und dann glaube ich - hochsensibel wie ich bin - die Signale zu spüren, die die stummen und ebenfalls sensibleren Mitleser senden. Die, die lesen dass auf der einen Seite, ein Mitglied gerügt wird, weil es einen Post zu einem sozialkritischen Thema "doppelt" gemacht hat (vielleicht unabsichtlich und ohne zu Pöbeln allerdings) während einer der pöbelt nicht einmal darauf angesprochen wird, dass er mehr als unhöflich ist. Also wenn ICH stummer und stiller Mitleser wäre, mit etwas mehr in mir verankerten Ängsten mich zu äußern, würde ich eins und eins zusammen zählen und mich dann gar nicht mehr trauen mich zu äußern, was natürlich das Schweigen und Dulden und Hinschauen noch verstärken würde.

Und genau mit diesen Ängsten spekulieren übrigens die AFD und ähnliche Organisatoren und auch die Lobbyisten der Industrie und Wirtschaft. Da heraus ziehen sie einen großen Teil ihrer Macht (und nicht nur aus der Zahl der Anhänger). Es gibt einfach (auch historisch bedingt) sehr viele Menschen, die es quasi in den Genen haben, dass es gesünder ist auf Pöbeleien hin sich zurück zu ziehen und zu schweigen. So aber werden dann die Tendenzen gestärkt, die eigentlich kontraproduktiv für ein mitmenschliches Zusammenleben sind.

Manchmal frage ich mich also, wenn ich mich durch die Gruppen im Netz durchlese oder auch einfach so im Alltag bewege, ob das Schweigen, dieses Wegschauen bei offensichtlichen Missständen oder nicht zu protestieren und helfend beizustehen, wenn andere ganz offen drangsaliert werden und die Tatsache, dass die meisten sich nicht wagen, sich dagegen zu äußern womöglich wirklich in den Genen der Menschen angelegt sein könnte? Und ob das „darauf Pochen“, Regel-Verletzungen zu ahnden (auch wenn niemand geschädigt wurde) eine Kompensation darauf sein könnte?

Ich meine, es gab ja historisch bedingt in den letzten Generationen vermehrt die Erfahrung, dass man als Mensch und kleiner Familienverband besser überleben konnte, wenn man Gegebenheiten, Pöbeleien gegen andere und gar Zerstörungen schweigend hin nahm, wenn man diese aussaß und auf „bessere Zeiten“ wartete, dann hatte man tatsächlich bessere Überlebenschancen. Schließlich endete es ja wirklich oft tödlich für viele (ich denke nur an die Nazizeit), die nicht schweigen konnten, die den Mund aufgemacht haben, die für Menschlichkeit und ein Miteinander plädiert haben.

Ja und in letzter Zeit ertappe ich mich auch immer öfter eben beim Durchlesen oder im Alltag in manchen Situationen, in denen ich denke: JETZT wäre es dringlich und wichtig, wir könnten unser Schweigen überwinden. Wir könnten eine gemeinsame Stimme bilden und erklären, was wichtig ist anzugehen. Dringlicher als je zuvor, da ich zu spüren glaube, dass wir nun bald keine Chance mehr darauf haben, einfach auf bessere Zeiten zu hoffen, die von alleine kommen könnten, weil wir als Menschheit sie nur noch JETZT kreieren und aktiv schaffen können.

Läge das Schweigen aber, bedingt durch vergangen Strukturen, in unserem unbewussten Inneren tief verankert (weil es ja tatsächlich so manches Mal in der Vergangenheit Leben und Überleben retten konnte), was brächte es dann, wütend über die Untätigkeit der Massen die anderen als „Schafe“ oder „schlafend“ zu bezeichnen?

Solcherlei Vorwürfe führten dann nämlich mutmaßlich nur dazu, den eigenen Frust über die Situation (die ja wirklich eklatant und haarsträubend an vielen Stellen auf diesem Planeten ist) abzubauen und im Gegenzug vielleicht noch die, die bemerken, dass sie ausgeschimpft werden noch TIEFER in das Schweigen zu drängen (weil das die einzige Schutzreaktion bei offenbarer Gefahr ist, die sie als „wirkungsvoll“ anerkennen).

Ich halte es für möglich, dass das „Schweigen“, das „sich zurück ziehen“ und die Unmöglichkeit konstruktiv zusammen zu arbeiten (ich rede nicht von Aufständen und Revolutionen) fast schon miasmatische Züge hat.

(Miasmen kann man am ehesten noch definieren mit „krankhafte Dispositionen“, die vererbbar sind von einer Generation auf die nächste. Dies nur zur ungefähren Erklärung für die, die den Begriff nicht kennen).

Wenn es aber tatsächlich miasmatische Züge HÄTTE? Wie könnte man das dann überhaupt überwinden, wenn es denn not-wendig wäre, es zu überwinden? Ich lasse diese Frage unbeantwortet, da ich selbst bisher noch keine Antwort darauf gefunden habe.

Vielleicht könnte es aber ja auch schon hilfreich sein, so ein bisschen, dass ich all diese Gedanken in diesem Artikel einmal versucht habe zu sortieren und zu notieren, um dieses tiefe Schweigen und Hinnehmen von zerstörerischem Verhalten anderer (auch verbale Äußerungen anderer können zerstörerisch sein) bewusst zu machen. All denen bewusst zu machen, die diesen Artikel lesen mögen. Denn was uns bewusst ist, das kommt ans Licht und wird gesehen.

Was gesehen werden kann hat womöglich größere Chancen angepackt zu werden.

Ich möchte an folgendes erinnern: Wir haben immer noch eine Menge Macht alleine durch unser Da-Sein. In welche Richtung wir diese Macht nutzen, das bleibt jedem von uns selbst überlassen. Ob wir aktiv oder passiv sind, die MACHT ist da und bündelt sich durch alle anderen, die ebenfalls agieren oder aber passiv bleiben, denn ALLES hat letztendlich gebündelt eine größere Wirkung als im Kleinen.

Ich persönlich habe mich dazu entschlossen, das was ich erkenne konstruktiv und informativ aufzuarbeiten, wer weiß wozu es nützt. Konstruktiv zu arbeiten birgt (gebündelt noch viel mehr) eher die Chance etwas Aufbauendes zu erreichen als schweigen, pöbeln oder schimpfen über Vorhandenes dies vermögen.

Danke an alle, die es durchgehalten haben, bis zum Ende zu lesen